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22. Mai |
Internationaler Tag der Biologischen Vielfalt |
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Beitrag des WDR 5 Wissenschaftsmagazins "Leonardo" |
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Nichts GEnaues weiß man nicht- (22. Mai, Internationaler
Tag der
BIOLOGISCHEN
Vielfalt)
Heute
ist internationaler Tag der Artenvielfalt. Alle kennen die
Schreckensnachrichten. Fast schon haben wir uns daran gewöhnt: Jede
zehnte Baumart ist vom Aussterben bedroht. Über 70 Prozent der globalen
Fischbestände sind überfischt. Jedes Jahr sterben rund 27.000 Arten aus
– 73 am Tag und drei in der Stunde. Immer häufiger geben jedoch in
letzter Zeit sogenannte Öko-Optimisten Entwarnung: Wer glaubt, dass wir
vor einer Aussterbekatastrophe stehen, habe schlicht falsch gerechnet.
Aber wer hat denn nun recht? Ist die Vielfalt tatsächlich gefährdet?
Claudia Ruby berichtet. Sprecherin
Wer
wissen möchte, wie viele Tiere und Pflanzen aussterben, muß zunächst
einmal wissen, wie viele Spezies es überhaupt auf der Erde gibt. Doch die
ehrliche Antwort auf diese Frage lautet: Wir wissen es nicht. Wir kennen
noch nicht einmal die Dimension, sagt Clas Naumann, Direktor am
Zoologischen Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig in Bonn.
Wissenschaftlich bekannt sind zur Zeit rund 1,8 Millionen Tier- und
Pflanzenarten. O-Ton
1: Prof. Clas Naumann, Museum Alexander Koenig, Bonn Man
rechnet bei vorsichtigen Schätzungen heute mit einer Artenzahl von 8-10
Millionen und bei unvorsichtigen Schätzungen bis zu 100 Millionen. Das
heißt, wir haben ein enormes Defizit. Einer der führenden Biodiversitätsforscher
in England hat mal gesagt, wir wissen mehr über die Zusammensetzung der
Milchstraße als über die Zusammensetzung der uns unmittelbar umgebenden
Natur. Sprecherin
Fest
steht: schon immer sind Arten ausgestorben. Mit und ohne Beteiligung des
Menschen. 99 Prozent aller Spezies, die die Evolution hervorgebracht hat,
sind wieder verschwunden. Wie Individuen leben auch Arten nur eine
begrenzte Zeit. Sogenannte lebende Fossilien, etwa Quastenflosser oder
Pfeilschwanzkrebs, bleiben eine große Ausnahme. Sie existieren bereits
seit mehreren hundert Millionen Jahren. Umweltschützer warnen jedoch,
dass sich die Aussterberate heute um den Faktor 1.000 beschleunigt.
„Solche Zahlen sind hochspekulativ“, hält der Biologe Glaw dagegen.
Das Aussterben vollzieht sich meist im Verborgenen. O-Ton
2: Dr. Frank Glaw, Zoologische Staatssammlung München
Wir
kennen natürlich nur ganz wenige dokumentierte Aussterbevorgänge, und
dabei handelt es sich um große, auffällige Tiere, die auch fossilisieren.
Wir wissen praktisch nichts über das Aussterben von Insekten und
Kleintieren. Gerade im Regenwald, wo die Wahrscheinlichkeit gleich Null
ist, wenn diese Tiere ausgestorben sind, noch irgendwelche Überreste von
denen zu finden. D.h. wir wissen eigentlich relativ wenig über das
Artensterben, und wir wissen auch noch sehr wenig über die Artenvielfalt.
Diese Unsicherheit ist einfach in diesen Angaben enthalten. Sprecherin
Deutliche Spuren
hat die letzte große Aussterbekatastrophe hinterlassen: Vor 65 Millionen
Jahren verschwanden die Dinosaurier von der Bühne des Lebens. Erst danach konnten die Säugetiere
ihren Siegeszug antreten. Ohne das Aussterben der Saurier gäbe es
wahrscheinlich keine Menschen auf der Erde. Auch heute denken wir beim
Artenschutz vor allem an unsere nächsten Verwandten – an die Säugetiere.
Es gibt Rettungskampagnen für Pandabär und Tiger, für Wale und
Orang-Utans. Wirbeltierchauvinismus nennen das manche Kritiker.
Denn diese bekannten Arten machen nur einen Bruchteil der bedrohten
Vielfalt aus, sagt Professor Ragnar Kinzelbach von der Gesellschaft für
biologische Systematik.
O-Ton 3: Prof. Ragnar Kinzelbach, Uni Rostock
Ich
fange an mit den Parasiten. Ein Drittel aller Tierarten sind Parasiten.
Niemand möchte einen Parasiten erhalten. Und niemand stellt sich zur Verfügung,
den bedrohten Fischbandwurm in seinem Körper zu züchten. Insofern ist
das absolut subjektiv, was wir tun. Zum Zweiten gibt es ganz wichtige
Tiere, die unser Ökosystem am Laufen erhalten - von Pflanzen ganz
abgesehen. Nämlich Regenwürmer oder Bodenmilben oder die kleinen
Springschwänze, die zur Humusbildung beitragen usw. Wenn die ausfallen, würden
Ökosysteme tatsächlich bei uns zusammenbrechen. Dagegen, wenn eines
dieser Herzenstiere ausstirbt, ist das zwar traurig, und wir wollen das
auf gar keinen Fall haben, aber das Ökosystem bricht nicht zusammen. Sprecherin
Entscheidend
ist nicht der Schutz einzelner Arten. Entscheidend ist der Erhalt von
Lebensräumen – vor allem der sogenannten Hot Spots. Sie bedecken
weniger als zwei Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber 44 Prozent
aller Pflanzenarten und 35 Prozent der Landwirbeltiere. Außerdem leben in
den Hot Spots besonders viele endemische Arten. Das sind Tiere und
Pflanzen, die es nur an diesem Ort gibt und nirgendwo sonst auf der Welt.
Weltweit haben Ökologen 25 Regionen definiert, sagt Frank Glaw von der
Zoologischen Staatssammlung in München. O-Ton
4: Dr. Frank Glaw, Zoologische Staatssammlung München
Waldfläche
ist nicht gleich Waldfläche. Es gibt in Amazonien riesige Waldflächen,
die völlig gleiche Artzusammensetzung aufweisen. In den Anden hingegen
haben viele Täler komplett endemische Faunen. D.h. es ist aus Sicht des
Artenschutzes viel wichtiger, diese kleinflächigen Areale zu schützen
als einen großen gleichförmigen Wald. Sprecherin
Früher
glaubten die Ökologen an eine feste Relation: Wird eine Waldfläche um 90
Prozent verkleinert, sterben 50 Prozent der Arten aus. Doch diese Zahl
wurde vor allem auf Inseln ermittelt. Man kann sie nicht einfach auf große
kontinentale Waldflächen übertragen. Die Artenvielfalt hält sich nicht
an mathematische Regeln. O-Ton
5: Dr. Frank Glaw, Zoologische Staatssammlung München
Wenn
ein Endemitenzentrum total zerstört wird, dann kann es in kürzester Zeit
zum Aussterben von vielen tausend Arten führen. Wenn aber dieses Gebiet
nur flächenmäßig stark reduziert wird, dann können zumindest
Kleintiere dort noch über viele Jahrhunderte überleben und deswegen
denke ich: Heutzutage befinden wir uns in einer Phase, wo sehr viele Wälder
stark schrumpfen, aber es sind eigentlich fast immer noch Restwaldgebiete
vorhanden, die aus irgendwelchen Gründen der Rodung oder dem Abholzen
entkommen sind, und in diesen Gebieten haben sich meistens noch – gerade
was die Kleintiere betrifft – sehr viele endemische Arten bis zum
heutigen Tag gehalten. Es ist sozusagen 5 vor 12, es sieht für viele
Arten schon schlecht aus, aber die allermeisten Arten auf der Erde denke
ich, sind noch zu retten. |
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Stand: |
Themen: Tag der Biologischen Vielfalt Biologische Vielfalt |
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